Nevers ist ein winziges und eigentlich eher langweiliges Städtchen in der Bourgogne. Darauf, dass ich Nevers unbedingt einen Besuch abstatten muss, bin ich aufmerksam geworden, als ich in Lourdes auf den Spuren der heiligen Bernadette wandelte und mir den Devotinoalienwahnsinn und das heilige Quellwasser angeschaut habe. Von den Nonnen, die in Lourdes voller Glauben und Hingabe der Mutter Gottes dienen, habe ich erfahren, dass der angeblich vollkommen unverweste Leichnam der heiligen Bernadette quasi als Beweis für ihre Heiligkeit in Nevers im Kloster aufgebahrt liegt. Solche Hinweise kommen mich immer teuer zu stehen.
Also nichts wie hin, zur zweitheiligsten Pilgerstätte Frankreichs. Mit einem teilweise modernen Zug fahren wir von Paris nach Nevers und finden dort zunächst eine ganz normale etwas verschlafene französische Kleinstadt vor. Viele Häuser sind alt und verfallen, andere sind liebevoll in Stand gehalten und die Straßen in der Innenstadt wirken so, als ob sie nicht für den Gebrauch durch motorisierte Fahrzeuge gedacht seien.
Auf der Suche nach einem Mittagessen, dann nach Wasser, Saft und Batterien für die Kamera, durchqueren wir die Innenstadt und werden in allem fündig. Wir kaufen sogar noch ein paar Kleidungsstücke, weil uns der späte April in Nevers mit ähnlichen Temperaturen empfängt wie der November in Lourdes. Vielleicht gehört das auch zum Programm. Schließlich sollen sich Pilger an heiligen Stätten nicht allzu sehr auf das schöne Wetter konzentrieren.
Die eigentliche Heiligkeit in Nevers ist das Kloster, in das die heilige Bernadette eintrat, nachdem sie durch zahlreiche Marienerscheinungen vollkommen durcheinander war und dann auch noch an Tuberkulose erkrankte. Im Kloster kümmerte man sich warmherzig und voller Begeisterung um das neue und berühmte Mitglied. Das tut man hier übrigens bis heute. Zwei Schwestern in Zivilkleidung überreichen uns für einen kleine Spende einen liebevoll ins Deutsche übersetzten Text, mit dem wir uns auf den Weg durch das Klosteranwesen machen können. Wir bestaunen das Tor, durch das Bernadette kam und wir sehen eine Kapelle, in der sie gebetet haben soll.
Wir dürfen das kleine Museum besuchen, in dem Bernadettes Stuhl, ihre Reisetasche und ihr Regenschirm ausgestellt sind. Hier gibt es zudem einige Bilder und Zitate von ihr. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass sie wohl nicht mit großer Intelligenz gesegnet war, aber die Mutter Gottes hat offensichtlich auf andere Qualitäten Wert gelegt. Nicht jeder lässt sich so ohne weiteres von einer Erscheinung beeindrucken. Die Beispiele in der Geschichte sind rar: Moses, Noah, König Lalibela, Jeanne d’Arc und der ein oder andere Serienmörder. Den wenigsten hat es Glück gebracht.
Alle im Kloster mochten sie gerne, auch wenn sie ihre Prüfung zur Krankenschwester nicht bestand und nur Hilfsarbeiten machen konnte. Auch die Tatsache, dass sie die Bernadette eigentlich nirgendwo hin schicken konnten, weil sie ja im Grunde ein Star war und alle Menschen sofort alles stehen und liegen ließen, um nach der Mutter Gottes zu fragen, war ein wenig hinderlich bei der Arbeit. Am Ende lag Bernadette nur noch herum und ging ganz langsam an ihrer Knochentuberkulose zu Grunde.
Als Bernadette dann endlich alles hinter sich hatte, ging der Trubel erst richtig los. Mehrfach hat man ihren Körper exhumiert und jedes Mal kam irgendein schlauer Experte daher und beschrieb die Verwesungsvorgänge so, dass sie sich irgendwie heilig anhörten. Der Leichnam war wohl besonders gut erhalten und mumienartig getrocknet. Auf jeden Fall wurde irgendwann beschlossen, die Leiche doch lieber in der kleinen Kapelle des Klosters offen herum liegen zu lassen, als sie immer und immer wieder zu beerdigen und sie für jeden Experten erneut auszugraben. Heute liegt Bernadette mit einem hübschen blassen Gesicht aus Wachs in einem gläsernen Sarg, wie Schneewittchen, nur mit einem Nonnengewand und vielleicht ist die etwas kleiner, als Schneewittchen mit seinen Modelmaßen. Natürlich ist die wächserne Maske nur ein kleines Accessoire. Der Körper ist tatsächlich vollkommen unverwest, wird uns mehrfach bestätigt.
Während meiner Reisen in den letzten Jahren hat sich bei mir eine morbide Begeisterung für einbalsamierte oder wie auch immer geartete öffentlich ausgestellte Leichen heraus kristallisiert. Bernadette reiht sich also in meine Liste, die bisher leider nur aus Lenin, Tut Anch Amun und einigen burmesischen Mönchen besteht. Ho Chi Minh habe ich knapp verpasst, wie ihr in “Berufswunsch Tourist” nachlesen könnt. Ich hoffe sehr, bald auch Mao auf meine Liste setzen zu können. Bernadette ist bisher die einzige Frau. Aber ich bin ja mit meiner Suche nach gut erhaltenen Leichen noch lange nicht am Ende.
Nachdem wir dann noch einen Moment die Nachbildung der Grotte in Lourdes begutachtet und als erstaunlich gute Kopie gewürdigt haben, verabschieden wir uns von dem Kloster und seinen liebenswerten Bewohnerinnen, nicht ohne vorher noch ein bisschen von dem Davotionalienunsinn im Souvenirshop gekauft zu haben. Bevor wir wieder in die pulsierende, schmutzige und aufregende französische Hauptstadt und damit in die Gegenwart zurück kehren, schauen wir uns noch die eindrucksvolle riesige Kathedrale von Nevers an. Bis auf einen kleinen aber unübersehbaren Knick in ihrer Mittelachse ist das Bauwerk perfekt und erfurchtgebietend. Ein paar moderne bunte Fenster, die sicherlich sehr teuer waren, schmücken das alte Gemäuer heute.
Wenn Ihr also auf berühmte Leichname steht oder eine eindrucksvolle Kathedrale sehen wollt, dann könnt Ihr in Nevers problemlos einen Tag eurer Zeit vertrödeln. Das Städtchen ist gemütlich, es gibt leckere Crepes mit Lachs und Zitrone oder auch mit salzigem Karamell (oder am besten gleich beides) und die Schwestern, die die tote Bernadette bewachen sind liebenswerte Menschen. Ob es den Umweg wirklich lohnt, muss jeder für sich entscheiden. Auf jeden Fall habe ich einen schönen Tag verbracht und plane nun, bei nächster Gelegenheit nach Fatima zu reisen… Ihr wisst ja: Nach der Reise ist vor der Reise! Das gilt offenbar auch für Pilgerfahrten.
Eure Beatrice!