Bad Neuenahr – Deutschlands teuerstes Bauprojekt – bis jetzt
Von Bad Neuenahr wusste ich eigentlich nur, dass dort Wein wächst. Bei meiner Suche nach coronatauglichen Reisezielen stellte sich heraus, dass es in Bad Neuenahr die Dokumentationsstätte Regierungsbunker gibt. Es handelt sich um ein Museum, das im einstigen „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes (AdVB) im Krisen- und Verteidigungsfall zur Wahrung derer Funktionstüchtigkeit“ untergebracht ist und der Öffentlichkeit zeigen soll, was hier unter Bad Neuenahr so alles vor sich ging.
In der Dokumentationsstätte Regierungsbunker begibt man sich in die Zeit des Kalten Krieges. Damals hatten alle Regierungen der Welt ernsthaft Angst vor dem Dritten Weltkrieg. Es war den meisten sogar ziemlich klar, dass er unmittelbar bevor stand. Daher wurde ein Ausweichsitz für die Westdeutsche Regierung gesucht und in Bad Neuenahr gefunden. Irgendwer erinnerte sich daran, dass es hier noch diese gigantischen Tunnel für ein nie fertiggestelltes Netz für Hochgeschwindigkeitszüge gab. Und das gar nicht weit von Bonn entfernt.
Also ging es 1961 los. Zeitgleich wurde in unmittelbarer Nähe eine Schule oder sowas gebaut. Also sagte man allen Anwohnern, dass Berge an Stahl und Beton sowie tonnenschwere Stahltore, Generatoren und anderes Material herangeschafft wurden. Tarnnetze für 105.000 Deutsche Mark wurden angeschafft und über den gesamten Hügel geworfen. Wenn man bedenkt, dass ein Mittelklassewagen damals 6.000 Deutsche Mark gekostet hat, ist das eine Menge Geld.
Zudem hatte man gerade eine Menge arbietssuchende ehemalige Zechenarbeiter aus dem Ruhrgebiet. Ganze 17.500 Menschen arbeiteten hier. Kein Wunder also, dass das Projekt nicht geheim blieb. Alle in der Nähe wussten davon.
Als Besucher der Dokumentationsstätte kann man sich die meterdicken eigens für diesen Zweck von MAN angefertigten Stahltore ansehen, die Druckwellen von 30 oder gar 100 Tonnen Druck aushalten, denn schließlich war man hier auf den Atomkrieg vorbereitet. Man sieht Dekontaminationsduschen, ein Krankenhaus, ein kleines Fernsehstudio, Technikräume, Sitzungssäle für Kriegssimulationen mit den NATO-Alliierten, Büros und Unterkünfte für die gesamte Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Nur der Bundespräsident hatte das Recht auf eine eigene Badewanne. Der Kanzler sollte immerhin eine eigene Dusche haben.
Die gigantische Anlage war ganze 17 Kilometer lang, daher gab es Dienstfahrräder. Ständig war jemand hier, denn für den Notfall musste natürlich alles in Schuss gehalten werden. Einmal im Monat wurden die Generatoren getestet. Dann rauchte es über dem Berg und alle Bewohner von Bad Neuenahr wussten, dass die Generatoren getestet wurden. Auch „die Russen“ wussten von dem unheimlich geheimen Regierungsbunker, der wahrscheinlich das teuerste Bauprojekt der deutschen Geschichte war. Bis jetzt, sagt der Museumsführer mit einem versteckten Hinweis auf den Berliner Flughafen.
Einmal alle zwei Jahre füllten sich die Quartiere und die 900 Büros mit Leben. Zwar wurden nicht die Regierungsmitglieder innerhalb von weniger als einer halben Stunde plötzlich in den Bunker gebracht. Aber es kamen andere Regierungsbeamte, die dort Krieg spielten. Auch mit den NATO-Partnern. Auf einer Weltkarte wurden verschiedene Szenarien des Dritten Weltkrieges gespielt. Es wurde für alle Teilnehmer gekocht. Ein Riesenaufwand. Überall im Bunker war Rauchen erlaubt. Dass nicht alle daran erstickt sind, ist ein Wunder.
Ob im Ernstfall tatsächlich alle Regierungsapparate in diesen Regierungsbunker gebracht worden wären, oder ob es nicht vielleicht doch eher geplant war, die wichtigen Menschen nach Amerika auszufliegen, kann keiner mit Sicherheit sagen. Fest steht, dass der Regierungsbunker ein Stück deutscher Geschichte darstellt, das wirklich interessant ist.
Also, ihr Weintrinker: Wenn es euch mal an die Ahr verschlägt, dann schaut euch auf diese gigantische teure Anlage an. Es lohnt sich.
Eure Beatrice!