Nachdem ich mit Anastasia durch den Südosten von Kasachstan gefahren bin, übergibt sie mich an den etwas schüchternen Serik, der mir sein Land: Kirgistan zeigen soll. Serik ist halb Kasache und halb Kirgise, er lebt in der Hauptstadt Bishkek und hat eine Frau geheiratet, die halb Kirgisin, halb Usbekin ist. Die junge Familie bildet das Völkergewirr in Kirgistan sehr gut ab und trägt wohl entscheidend zur Völkerverständigung bei.
Serik findet es ein wenig schade, dass die Hauptstadt Bishkek vor einigen Jahren anlässlich der Unabhängigkeit des Landes von Frunze in Bishkek umbenannt wurde. In meinen Ohren klingt Frunze irgendwie nicht so hübsch. Aber wer in Frunze aufgewachsen ist, der hängt vielleicht aus nostalgischen Gründen an diesem Namen.
Meine Reise durch Kirgistan beginnt in der Nähe des Issyk Kul Sees. Da dieser mehr als elf mal so groß ist wie der Bodensee, kann man sich eine ganze Weile in der Nähe dieses Sees aufhalten, ohne dass einem langweilig wird. Zu allererst schaue ich mir einen echt großen Haufen Steine an. Er hat eine recht traurige Geschichte: Tamerlan war ein berühmter Kriegsheld und ein Truppenführer, der von hier aus seine Leute in eine wichtige Schlacht nach China führte. Da er sich mit Buchhaltung und Mathematik nicht sehr gut auskannte, nutzte er ein etwas primitiveres System, um einen Überblick über seine Verluste zu haben. Auf dem Hinweg schnappte sich jeder seiner Soldaten einen Stein. So entstand dieser Haufen Steine. Auf dem Rückweg entfernte jeder Überlebende wieder einen der Steine. Man muss kein mathematisches Genie sein, um zu sehen, dass es einige Verluste in der Schlacht gab.
Historische Steinhaufen und ganz besonders schöne Toiletten!
Nur wenige Kilometer vom Issyk Kul See entfernt, liegt die Stadt Karakol. Außer einer orthodoxen Kirche und einer dunganischen Moschee gibt es kaum ein nennenswertes Bauwerk. Beide sind so um die 100 Jahre alt. Der Rest der Stadt ist wenig spektakulär. Aber die umliegende Landschaft ist wunderschön. Wir besuchen den Altyn Araschan Canyon, kämpfen uns mit einem Allradfahrzeug eine sehr steinige Straße hinauf und bewundern eine zauberhafte alpine Landschaft. Auf etwa 2500 Metern Höhe gibt es hier mächtige Nadelbäume, bunte Blümchen, wunderschöne Esel und einen Gebirgsbach, der es wirklich eilig hat ins Tal zu kommen.
Hier oben gibt es Radonquellen, die zwar erwiesenermaßen radioaktives Radon enthalten, aber dennoch von vielen Menschen als heilsam eingestuft werden. Die Tatsache, dass es keinerlei wissenschaftliche Bestätigung dafür gibt, dass radonhaltiges Wasser irgendeine positive Wirkung auf den menschlichen Körper hat, stört die Gläubiger dieser Therapie in keinster Weise. Auch in
Deutschland gibt es zum Beispiel in Bad Kreuznach Radonquellen, deren heilende Wirkung nicht im mindesten bewiesen ist. Als ich nach dem Bad im heißen Radonwasser einen leichten Schwindel verspure, schiebe ich das auf die Höhe und auf die Hitze. Der Glaube an Radonwasser ist nichts rein kirgisisches.
Vom Issyk Kul See bis zum Song Kul See – ganz ohne Komfort!
Weiter geht es im märchenhaften Märchental. Die Felsformationen in dieser sehr trockenen Umgebung erzählen mir zwar nicht direkt Märchen, aber sie inspirieren mich zum Träumen von Mondlandschaften, Aliens und Wüstenplaneten. Also ist der Name im Grunde perfekt gewählt. Nach dem Abstecher zum Märchental gibt es die Möglichkeit, im Issyk Kul See zu baden. Das Wasser soll angeblich 20 Grad haben. Ich gebe mich damit zufrieden, meine Füße ins kühle Nass zu strecken, während Serik und unser übergewichtiger Fahrer Nikolai sich kopfüber in die Fluten stürzen.
In einem kleinen Ort mit dem lieblichen Namen Bokonbaevo bekocht uns eine Frau, die noch so jung ist, dass sie nur zwei Goldzähne hat. Sie reicht eine perfekte Mahlzeit aus vier traditionellen kirgisischen Gängen. Zuerst gibt es einen Krautsalat, dann eine deftige Suppe mit Kartoffeln, Kohl und Paprika. Spätestens jetzt bin ich ausreichend gesättigt. Aber dann kommt noch eine reichhaltige Nudelmahlzeit mit Fleisch und Sauce. Wenn man dann bis zum Bersten gefüllt ist, fordert einen die Köchin dazu auf, den Nachtisch anzugehen, der schon seit Beginn der Mahlzeit auf dem Tisch steht: Unzählige Nüsse, Trockenfrüchte, frische Aprikosen und natürlich scheußliche klebrige Süßigkeiten! Der nächste Canyon ist fast genauso schön wie der Altyn Araschan Canyon. Im Jeti Oguz Canyon übernachte ich in einer Jurte und verzichte auf Komfort. Ich verzichte aber auch darauf, mich im etwa 4 Grad warmen Wasser des frischen und sauberen Gebirgsbaches zu waschen.
Unweit von Bokonbaevo treffe ich einen Adlerjäger, der nicht Adler jagt, sondern seinen Adler als Jagdwaffe benutzt. Wie besonders effektiv diese Waffe ist, wird demonstriert, indem der Mann aus seinem VW Golf einen niedlichen schwarzen Hasen herausholt und den Adler dann einfach drauf los fliegen lässt. Wenige Minuten später streiten sich Adler und Mensch um das zarte Fleisch des Hasen, für den der Tod recht plötzlich und überraschend kam. Tatsächlich schafft es der Mann, dass sein Adler nach einigen herzhaften Bissen in die Eingeweide des süßen Häschens von seiner Beute ablässt und sie ihm überlässt.
Adler jagen Hasen – in Kirgistan erlebt man die brutale Natur!
Nach dem Issyk Kul See steht der Son Kul See auf dem Programm. Dieser ist deutlich kleiner aber er liegt viel höher als sein riesiger Nachbar. Über den eindrucksvollen Moldo Aschuu Pass kommen wir zum Son Kul See, dessen Wasser mit nur 9 Grad nun wirklich nicht mehr für die äußerliche Anwendung am Menschen geeignet ist. Hier wird der Komfortverzicht erst richtig zur Challange.
Auf 3200 Metern Höhe ist das Wetter unberechenbar. Innerhalb eines Tages wechseln sich Sonne, Regen, Wind und Graupel ab. Ich habe das Glück, dass der Schnee ausbleibt und dass die Temperaturen nicht unter den Nullpunkt sinken. Am Abend wird in der Jurte ein Feuer mit getrocknetem Kuhdung entfacht, das das Einschlafen in angenehmer Hitze ermöglicht. In der Nacht wird es aber sehr kalt und ich beglückwünsche mich mehrfach zu der Entscheidung, am Abend keinen Tee getrunken zu haben, so dass ich nicht mitten in der Nacht hinaus in die Kälte und zu der wenig attraktiven sanitäten Anlage laufen muss.
Vier Tage ohne Dusche! Das Naturerlebnis!
Nach vier Tagen ohne Dusche nehme ich bei einer Gastfamilie in Kysil Oi eine der besten Duschen meines Lebens. In dem kleinen Ort gibt es zwar nicht viel zu sehen, aber ein Spaziergang ist trotzdem ein Erlebnis. Ich verfolge eine junge Eselfamilie, um Fotos vom Babyesel zu machen. Schaue einer Fünfjährigen dabei zu, wie sie Wasser in Eimern vom Brunnen nach Hause schleppt und fotografiere die Moschee, die wie fast alle kirgisischen Moscheen mit wenig attraktiven Blechkuppeln verziert ist.
dt von Kirgistan: Bishkek, das ehemalige Frunze. Im Zentrum stehen einige sehr sozialistisch anmutende Denkmäler und Regierungsgebäude. Vor dem Leninmuseum, für das ich leider keine Zeit habe, gibt es eine eindrucksvolle Wachablösung. Die Soldaten können ihre Beine beim Stechschritt so hoch heben, dass sie damit einen gleichgroßen Gegner an der Nase treffen könnten. Außer mir scheint jedoch keiner der Zuschauer diese Vorführung lustig zu finden, weshalb ich nur still lächele.
Auf dem Osch Basar staune ich über schiere Berge von russischen Süßigkeiten, Gewürze und an die 20 verschiedene Sorten Reis. Im berühmten ZUM-Kaufhaus gibt es alles vom Haartrockner über goldene Reiterstatuen bis zu Souvenirs. Es gibt sogar Filzpantoffeln in Form von Panzern und verstaubte Büsten, die Lenin und sogar Stalin zeigen. Mehr über meine Reise nach Kirgistan wird es im nächsten Jahr im nächsten Buch geben.
Aber bis dahin stehen noch ein paar weitere Reisen auf dem Programm.
Eure Beatrice!
Issyk Kul heißt-der heiße See. Er heißt so, weil er im Winter nicht zufriert.