Normandie – Auf Regen folgt Regen
Die Normandie gibt sich unheimliche Mühe damit, eine Atmosphäre zu erzeugen, in der ich den Schauplatz des D-Day, des Jour J oder des Tag X sehr authentisch erleben kann: es regnet. An dem Tag, als die Alliierten Anfang Juni 1944 an den Stränden der Normandie „gelandet“ sind, soll es auch geregnet haben. Ich schaue mir der Reihe nach die Strände an: Sword Beach im Osten, Juno Beach, Gold Beach und Omaha Beach etwas weiter westlich.
Vor mir im Wasser liegen die letzten Überreste von alten Ponton-Brücken, die den Mulberry-Hafen gebildet haben. So konnte auch ohne ein Hafenbecken für Nachschub gesorgt werden. Die riesigen Metallungetüme liegen friedlich in der Brandung und
rosten vor sich hin, so als würden sie einfach hierher gehören. Irgendwie empfinde ich die Gegenwart dieser Erinnerungsstücke als bedrückend, wenn ich daran denke, unter welchen Umständen und vor allem warum sie hier her gelangt sind. Trotzdem gibt es in unmittelbarer Nähe zahlreiche Ferienwohnungen mit einem schönen Blick auf den breiten Sandstrand und die Überreste des D-Day.
Bei Longues sur Mer stehen einige der Befestigungsanlagen des Nordatlantikwalls. Sie wirken bis auf eine, die eingestürzt ist, vollkommen intakt und wie neu. Die gigantischen Geschütze sind zwar verrostet, aber die meterdicken Betonmauern haben die Jahrzehnte im Dauerregen der Normandie nahezu unbeschadet überstanden.
In Colleville sur Mer, beim legendären Omaha Beach, steht das Overlord Museum. Es ist benannt nach dem Decknamen der Mission Overlord, welche die Rückeroberung Frankreichs zum Ziel hatte. Leider ist das Museum etwas zu sehr auf die Fahrzeuge der damaligen Zeit ausgerichtet. Von jedem Panzer, Motorrad und Lastwagen erfahre ich die PS-Zahl, den verbrauch auf 100 Kilometern, den Hersteller und die maximale Geschwindigkeit. Es ist zwar faszinierend, zu erfahren, dass ein Panzer einen 500 Liter Tank besitzt und damit gerade mal 80 Kilometer zurück legen kann. Meine Güte! Aber ich hatte mir von dem Museum ein paar weniger Schaufensterpuppen und etwas mehr Information versprochen.
Es ist aber auch nicht ganz einfach, sich das richtige Museum auszusuchen, denn es gibt mindestens ein Dutzend verschiedener Ausstellungen zum Thema in den einzelnen Badeorten der Normandie.
Zum Schluss besuche ich den amerikanischen Soldatenfriedhof von Colleville sur Mer. Er gleicht allen amerikanischen Soldatenfriedhöfen, die ich bisher gesehen habe und es wird viel Wert auf Sauberkeit, Flaggen und Ehre gelegt. Mit Grauen denke ich an die vielen jungen Männer, die am D-Day aus den Booten gestiegen sind, nur um an einem wunderschönen Urlaubsstrand zu Tausenden niedergeschossen zu werden. Irgendwie passt der Gedanke an das Gemetzel von damals nicht zu diesem klinisch sauberen Heldenfriedhof. Obwohl ich den Kampf gegen die Nationalsozialisten für eine der besten Ideen des 20. Jahrhunderts halte, kann ich wenig Heldentum darin sehen, so viele junge Menschen in den sicheren Tod zu schicken. Letztendlich muss ich den hier begrabenen Soldaten für ihre viel zu großen Opfer danken, denn unter anderem dank ihnen darf ich in Frieden leben.
Am nächsten Tag lässt der Regen ein wenig nach. Das Wetter ist für die Normandie nahezu strahlend. Ich besuche den Mont Saint Michel um nach den traurigen Kriegsschauplätzen etwas erfreulicheres zu sehen. Die verrüchte Idee, eine Klosterkirche und dazu noch so viele Gebäude wie möglich auf eine winzige Insel zu quetschen, wo doch auf dem Festland mehr als genug Platz ist, macht den Mont Saint Michel zu einer etwas kuriosen Sehenswürdigkeit. Ein paar hundert Chinesen sehen das ähnlich und sind schon früh morgens auf dem Weg zu der Insel.
Ich bin etwas enttäuscht, weil die Insel nicht wirklich zu sehen ist. Es herrscht Ebbe und das Meer hat sich so weit zurück gezogen, dass man vom festland aus nahezu trockenen Fußes zum Mont Saint Michel hätte laufen können. Das tue ich natürlich nicht, denn es gibt einen kostenlosen Shuttlebus. Kostenlos dann, wenn man 12,50 Euro für den Parkplatz bezahlt hat.
Der Mont Saint Michel ist ein lustiger Haufen von dicht zusammengedrängten Gebäuden und wohl der einzige Ort in Frankreich, der niemals behindertengerecht gestaltet werden kann. Tatsächlich steht am Eingang ein alter Mann in einem Rollstuhl, den seine liebende Familie offensichtlich hier abgestellt hat, um die Besichtigung ohne ihn zu machen. Armer Kerl! Ich steige gefühlte 1000 Stufen auf und ab, fotografiere winzige Wohnhäuser mit Holzschindeln und bestaune schließlich die Abbaye du Mont Saint Michel. Hinter den Klostermauern gibt es eine große aber wenig spektakuläre Kirche und eine ganze Reihe von hübschen Gewölben mir sehr dicken Mauern und Pfeilern.
Die Vögel auf dem Mont Saint Michel sind allesamt sehr zutraulich. Ich kann einen Spatz mit Kekskrümeln füttern und er setzt sich beinahe auf meinen Schuh. Das fettleibige Tier, das wohl normalerweise von chinesischen Touristen gefüttert wird, verschwendet keinen Gedanken daran, dass ihm etwas passieren könnte. Ähnlich furchtlos verhalten sich die Möwen, die aber gegenüber den Spatzen wohl den Vorteil haben, auch auf Menschen etwas einschüchternd zu wirken.
Auf dem Rückweg nach Hause habe ich noch ein typisch französisches Gastronomie-Erlebnis. Die Kellnerin schnaubt wütend, als ich nach einem Tisch frage. Sie sagt so etwas wie „Also wenn Sie schon die Frechheit besitzen, hier etwas essen zu wollen, dann müssen Sie warten!“ Ich warte 20 Minuten, ohne dass ich eine Speisekarte erhalte oder auch nur eines Blickes gewürdigt werde. Also esse ich bei Mc Donalds. Buerk aber schnell!
Eure Beatrice!