Das verlängerte Wochenende um den 1. Mai erschien mir dieses Jahr eine gute Gelegenheit, um eine der ältesten Städte Europas aufzusuchen. Als ich dann den ersten Menschen von den Plänen erzählte, in die griechische Hauptstadt zu fliegen und mir dort Tempelruinen, Tsaziki und blutrünstige Geschichten über die Götter der Antike zu Gemüte zu führen, wurde ich unterbrochen: “Am 1. Mai willst du nach Athen fliegen??” Und da fiel es mir wieder ein… die Griechen feiern den Tag der Arbeit seit Jahren immer damit, dass sie ausgedehnte Streiks unternehmen, randalierend durch die Straßen ziehen und ihre Hauptstadt in Schutt und Asche legen. Seit der Krise war vor allem Letzteres vermehrt in den Medien zu sehen. Nun war es aber zu spät und die Tour war gebucht. Das wunderbar sonnige Wetter und die 29°C haben mich auch zunächst einmal alle Bedenken vergessen lassen.
Der erste Eindruck von Athen ist eher ernüchternd. Unverhältnismäßig viele Gebäude sind verlassen, mit Brettern vernagelt und schlichtweg dem Verfall preisgegeben. Graffitikünstler haben hie und da einen Verschönerungsversuch unternommen, so dass manche Ruine etwas bunter und hübscher wirkt. Die meisten Graffitisprayer scheinen jedoch wenig Wert auf Ästhetik zu legen und verschonen mit ihren achtlos hin gesprühten Parolen weder Wohnhäuser noch die marmornen Gebäude der Kunsthochschule. Auf der Suche nach etwas zu essen muss man sich ein Herz fassen und in eines der häßlichen Gebäude eintreten. Hinter den lieblosen Fassaden findet man tatsächlich manchen begnadeten Koch.
Ein Ausflug zum berühmten Orakel von Delphi soll mich in vergangene Zeiten entführen. Ich erfahre einiges über Apollon, den Sonnengott, der so strahlend wunderschön war, dass alle Frauen Angst vor ihm hatten. Daphne war sogar so geblendet von seiner Schönheit, dass sie sich vor lauter Schrecken in einen Baum verwandelte. Daher war er neidisch auf Dyonisos, den Gott des Weins, der Freuden und Laster, der nur so mittelmäßig wunderschön war, und der alle Frauen abbekam. Die Göttergeschichten der alten Griechen sind besser, blutrünstiger und anrüchiger als die Bibel, Herr der Ringe und Kill Bill zusammen.
In Delphi sehe ich die Überreste des Apollontempels auf einem Hügel. Hier gab es eine Priesterin, die den ganzen Tag die giftigen Dämpfe aus einer vulkanisch bedingten Erdspalte einatmete und auf diese Weise immer wieder Dinge sah, die sonst niemand sehen konnte. Von überall her kamen wichtige und unwichtige Leute, wie zum Beispiel Ödipus und vor ihm sein Vater, um sich von diesem Orakel irgendwelche Flausen in den Kopf setzen zu lassen, die dann zu den besten griechischen Dramen führten. In einem kleinen Museum sehe ich nackte Kriegerstatuen aus der geometrischen Periode, die korinthische Helme tragen, ich erinnere mich wieder an meinen Unterricht in Städtebaugeschichte und den Unterschied zwischen ionischen, dorischen und korinthischen Säulen und ich bewundere eine Sphinxstatue, die einst den Apollontempel schmückte. Eine Aufpasserin wacht darüber, dass sich keiner der Museumsbesucher gemeinsam mit der Sphinx ablichten läßt, denn das verärgert die Sphinx (und die Museumswächterin).
Auf dem Weg zurück nach Athen durchquere ich ein kleines Dorf, in dem jedes Jahr alle männlichen Einwohner ab dem Alter von 70 Jahren an einem Wettlauf eine mehr als 600 Stufen zählende Treppe hinauf teilnehmen. Dem Sieger winkt ein gebratenes Lamm am Spieß. Es handelt sich angeblich um ein sehr traditionelles Dorf, das jedoch heute alle Traditionen über Bord geworfen hat und statt der hausgemachten Nudeln und Flokati Teppiche hauptsächlich sehr hippe Skikleidung verkauft. Die Krise hat stellenweise seltsame Auswirkungen.
In Athen selbst sehe ich mir natürlich die Akropolis und den Zeus Tempel an und das gigantische Marmorstation Panathinaikos, wo früher lauter nackte Männer ihre sportlichen Wettkämpfe austrugen und wo noch heute alle wichtigen Wettkämpfe stattfinden. Leider oder vielleicht auch glücklicherweise sind heute alle Sportler bekleidet. Manchen Kugelstoßer oder Gewichtheber möchte man ja nicht unbedingt im Adamskostüm sehen.
Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, liegt dann tatsächlich ganz Athen lahm. Die Metro wird bestreikt, die Museen und Sehenswürdigkeiten haben geschlossen, die Gitter und von Grafitti bedeckten Rolläden der Geschäfte sind herunter gelassen. Mir bleibt also fast nichts anderes übrig, als mir die eindrucksvolle Demonstration der Gewerkschaften, der Anarchisten und der Kravwallmacher anzusehen. Zu Tausenden gehen die Griechen auf die Straße und machen ihrem Unmut Luft. Ebenso eindrucksvoll wie die Parolen schreibenden Menschenmassen sind die Hundertschaften an bis unter die Zähne bewaffneten und mit einer ansehnlichen Körperpanzerung versehenen Polizisten, die die Demonstranten in gebührendem Abstand begleiten. Das elegante Hotel “Grande Bretagne” am Syntagma Platz hat sich regelrecht verbarrikadiert, denn es liegt auf dem Weg der Demonstranten. Nach nichtmal einer Stunde geht inmitten der Demonstranten der erste Kiosk gewaltsam zu Bruch und dann in Flammen auf. Auch wenn das für die Polizei noch kein Grund war, die Demonstration zu unterbrechen, beschließe ich, mir in einem ruhigeren Teil der Stadt noch ein paar streunende Katzen und einen griechischen Salat zu suchen.
Zurück zum Flughafen komme ich dann tatsächlich nur mit dem Taxi, was 5 mal teuerer als die Metro ist, aber den Vorteil hat, dass es nicht streikt. Der Taxifahrer schlängelt sich zunächst langsam durch den Stadtverkehr und liest gleichzeitig Nachrichten auf seinem Telefon. Dann kommt er an die Autobahnauffahrt, atmet ein, legt das Telefon zur Seite, bekreuzigt sich dreimal und schießt dann mit dem doppelten der erlaubten Geschwindigkeit links und rechts an allen anderen Autos vorbei in Richtung Flughafen. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen aber körperlich unversehrt erreiche ich also in Rekordzeit den Flughafen und kann mein Wochenende in Athen nur als einen vollen Erfolg verbuchen!
Eure Beatrice!