Mitte März zeigte der Blick ins Internet angenehme 17 Grad und verhaltenen Sonnenschein, wenn man auf den einschlägigen Seiten nach dem Wetter in Sarajevo suchte. Aber schon wenige Tage vor meiner Abreise in die Hauptstadt von Bosnien und Herzegovina bereitete sich Sarajevo offenbar auf eine kurze Eiszeit vor oder eben darauf, die Touristen möglichst nicht zum Bleiben zu verleiten: Am Osterwochenende 2015 empfing mich die Stadt mit ungemütlichen 3°C und Schneegestöber. Bei diesen österlichen Temperaturen entscheidet sich der erfahrene Tourist (wie ich ja einer bin) für Unternehmungen, die man weitestgehend unter einem Dach absolvieren kann. Ich finde schnell eine Liste von interessanten Museen. Die Sache mit dem Dach ist zwar in der Theorie ganz nett, aber in Sarajevo, das in den 90ern jahrelang unter Beschuss stand, sind einfach noch nicht alle Dächer dicht. So auch das des weitestgehend provisorisch anmutenden Kunstmuseums. Das Problem mit dem Leck im Dach hat dieses Museum (der Eintrittspreis ist übrigend sehr gering) hervorragend gelöst, denn neben den anderen Kunstwerken zum Beispiel von Joseph Beuys fällt eine „Installation“ von drei Waschschüsseln, die das von der Decke tropfende Regenweasser auffangen, nicht weiter auf. Ein Mittourist macht sogar ein Foto von den Schüsseln und ist wirklich angetan. Das historische Museum hat es – zumindest was die Arbeitsbedingungen der Museumsmitarbeiter angeht – noch etwas schlechter getroffen als das Kunstmuseum. Schon von außen sieht das Gebäude aus wie eine Ruine. Die Fassaden sind vollkommen zerschossen und man will sich kaum vorstellen, dass sich darin die Ausstellung zur Geschichte einer europäischen Hauptstadt befindet. Der arme Kerl, der hier die Eintrittskarten verkauft, muss sich bei ziemlich genau 3°C den Hintern abfrieren. Mit dicker Winterjacke ist es jedoch möglich, sich die Sammlung an Fotos und Gegenständen zu Gemüte zu führen und einen vagen Eindruck von dem Grauen zu erhalten, das hier stattfand, während ich zu Hause gemütlich und gut gelaunt in vollkommener Sicherheit meinen 13. Geburtstag gefeiert habe. Unvorstellbar, dass solche Dinge vor kurzem noch in unmittelbarer Nachbarschaft zu meiner heilen Welt passiert sind.
Besonders anschaulich wird mir das ganze Drama bewusst, als ich mit meinem bosnischen Begleiter, der ziemlich gut englisch spricht und eigentlich Veterinärmediziner ist, eine kleine Stadtrundfahrt mache. Die Hauptachse der Stadt wird noch immer als die „Sniper Alley“ bezeichnet, weil hierher von beiden Seiten der leicht in einem Kessel liegenden Stadt die Geschosse kamen. Voller Ironie beschwert sich mein Begleiter darüber, dass es die Granaten nicht geschafft haben, die furchtbar hässlichen Betonklötze im kommunistischen Stil zu zerstören. Hier haben die Geschosse nur an den Fassaden gekratzt. Wir kommen an einer Brücke vorbei und ich höre die Geschichte der bosnischen Romeo und Julia: Sie war Muslimin, er orthodoxer Christ und auf dieser Brücke wurde sie niedergeschossen. Sie brach zusammen, er kam seiner Freundin zu Hilfe und wurde dabei ebenfalls von Heckenschützen niedergestreckt. Sie starben Arm in Arm in einem vollkommen unnötigen Krieg.
Winzig, aber interessant ist das Tunnelmuseum, das sich in einem kleinen unscheinbaren Wohnhaus in der Nähe des Flughafens befindet. Um dorthin zu gelangen, muss man die klapprige Tram nutzen und sich dann einem der illegalen Taxifahrer anvertrauen, die überall auf Kundschaft zu warten scheinen. Unter diesem Wohnhaus haben die Menschen, die in Sarajevo fast vier Jahre lang eingeschlossen und von schießwütigen Soldaten belagert waren, einen Tunnel zur anderen Seite gegraben. Für die 800 Meter Tunnel brauchten sie nur vier Monate und vier Tage. Eine eindrucksvolle Leistung, vor allem vor dem Hintergrund, dass es ja niemand von der anderen Seite mitbekommen durfte. Ein paar Meter dieses Tunnels kann man besichtigen.
Am Ostermontag bessert sich das Wetter ein klein wenig, wohl um mich doch noch versöhnlich zu stimmen. Der Schneeregen lässt nach und ich kann ein paar weniger triste Bilder der Stadt machen, die sich nun langsam von den Zerstörungen des Krieges erholt. Im Zentrum sind zahlreiche kleine Moscheen, Kirchen, historische Gebäudefassaden und Monumente bereits renoviert worden. Nur wer die Fußgängerzonen und die hübschen Promenaden verlässt, der entdeckt noch die ausgebombten Häuser, für deren Restaurierung bisher niemand die Zeit und das Geld gefunden hat. Sarajevo ist auf jeden Fall eine sehr schöne Stadt mit einer spannenden Geschichte, die ich jedem nur empfehlen kann – nicht die Geschichte, sondern die Stadt! Auch das Essen ist hervorragend und überhaupt nicht teuer. Nächste Woche berichte ich euch, wie es in Herzegovina beim Pilgern war! Eure Beatrice!