Hadamar – Deutschlands dunkle Geschichten
In Hadamar, einem Örtchen irgendwo zwischen Koblenz und Gießen, gibt es einen Ort, den sich eigentlich jeder einmal ansehen sollte. Es handelt sich um die NS-Euthanasie-Gedenkstätte Hadamar. Der Besuch hier ist definitiv nicht erfreulich oder unterhaltsam. Aber er ist interessant und absolut notwendig, um zu verstehen, wie falsch nicht nur der Nationalsozialismus, sondern auch jeglicher Nationalismus, Rassismus, Überlegenheitsdenken und Diskriminierung sind.
Zunächst war ich erstaunt, als ich in Hadamar ankam. Ich erwartete eine Gedenkstätte, fand aber eine riesige Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vor, die gerade erweitert wird. Dann entdeckte ich, dass sich die Gedenkstätte mitten im Hauptgebäude befindet, direkt neben und unter den Räumlichkeiten, in denen bis heute Menschen behandelt werden. Das gibt der Ausstellung noch einmal einen besonderen Aspekt.
Die Ausstellung im Erdgeschoss ist gut aufbereitet und berichtet darüber, wie zwischen Januar und August des Jahres 1941 hier in der damaligen „Irrenanstalt“ systematisch etwa 10.000 Menschen umgebracht wurden. Direkt am Eingang steht zu lesen: „Der Tag ihrer Aufnahme war in der Regel auch ihr Todestag“. Alle diese Menschen wurden mit grauen Bussen aus anderen Anstalten hierher gefahren, wurden registriert, gewogen, gemessen, mussten sich im Untergeschoss ausziehen und wurden in eine als Dusche getarnte Gaskammer geführt, wo von einem Arzt Giftgas eingeleitet wurde. Nur ein Arzt durfte den Schalter umlegen, denn es handelte sich einem Erlass nach um eine Euthanasie.
Das Morden in Hadamar war Teil des Plans der Nationalsozialisten, die Bevölkerung von allen Minderwertigen und Ballastexistenzen zu befreien. Hitler lehnte sich an ein Buch von 1920 an, das den Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ trug, und das von zwei Wissenschaftlern geschrieben worden war. In dem Buch wurde belegt, warum Behinderte und psychisch Kranke nicht das Recht auf Leben hatten. Hitler und seine Partei sorgten dafür, dass der Gedanke sich in der Bevölkerung verbreitete. Diese Menschen liegen dem Volk nur auf der Tasche, kosten Unmengen an Geld und tragen nichts zur Gesellschaft bei. Schnell wurden auch Alkoholiker, Geschlechtskranke, Kriminelle und sogenannte Asoziale mit dazu gezählt. Von Rassenhygiene war die Rede aber auch davon, dass die arische Rasse von diesen minderwertigen Kreaturen gereinigt werden sollte.
Ein Auszug aus „Mein Kampf“ ist zu lesen, in dem Hitler von „defekten Menschen“ spricht und davon dass diese defekten Menschen sich unter keinen Umständen fortpflanzen dürfen, denn das bedroht die arische Rasse. Als ich dieses Zitat las, fiel mir wieder ein, was Sheriff David Beth in Kenosha über „those people“ gesagt hat und darüber, dass man sie wegsperren und dafür sorgen sollte, dass sie keine Kinder bekommen. Mir wird kotzübel bei dem Gedanken, dass dieser Mensch noch immer in Amt und Würden ist. Aber auch die AFD in Deutschland bedient sich solcher Rhetorik zunehmend. Die meisten AFD-Politiker sind vorsichtiger und formulieren weniger harsch, aber es ist doch klar, woher der Wind weht.
Im Keller unterhalb der Ausstellung ist die Gaskammer noch zu sehen. Die Verbrennungsöfen für die 10.000 Leichen, die hier in 8 Monaten 1941 angefallen sind, wurden abgebaut. Nach 1941 war das erste Ziel erreicht, die Geheimhaltung wurde schwierig und so wurde der Anstalt eine andere Ausrichtung gegeben. In den kommenden Jahren wurden die Patienten von Hadamar entweder ausgehungert oder verwahrlost bis sie sich mit einer schweren Krankheit infizierten, Viele starben an Tuberkulose. Sehr viele wurden mit Überdosen an verschiedenen Medikamenten umgebracht. Weitere etwa 5000 Menschen kamen auf diese Weise um.
In Hadamar wurden aber auch Zwangssterilisationen durchgeführt. Behinderte und psychisch kranke Frauen wurden entsprechend dem Gesetz zur Verhütung erbkranker Nachkommen von Juli 1933 sterilisiert. Es wurde ein Antrag von einem Arzt gestellt, der vor Gericht geprüft wurde. Stets wurde ein Grund angegeben: angeborener Schwachsinn, erbliche Blindheit, erbliche Epilepsie, Erbliche Taubheit, Schizophrenie, manisch-depressives Syndrom, das von den Nazis als zirkuläres Irresein bezeichnet wurde. Allerdings konnte man auch einfach Pech haben. Eine junge Dame wurde zum Beispiel sterilisiert, weil ihr Mann sie nicht mehr haben wollte und sie daher als verrückt abstempelte. Eine andere junge Dame wurde früh ungewollt schwanger und kam mit der Situation nicht gut zurecht. Mit der Begründung, sie habe sich im Leben nicht bewährt wurde sie mit 21 zwangssterilisiert. Eine andere junge Dame, ebenfalls 21 wurde unfruchtbar gemacht, weil sie in ihrer Pubertät „mürrisch, unzugänglich, haltlos und unehrlich“ gewesen war. Auf welchen Teenager trifft das denn bitte nicht zu? Ich kann nur schlucken.
Ich habe noch unendlich mehr mitgeschrieben und viele Gedanken hierzu, aber ich will euch im Grunde nur nahelegen, diese Gedenkstätte zu besuchen, denn sie beleuchtet einen Aspekt des Nationalsozialismus sehr gut, der oft vergessen wird und der uns alle angeht. So etwas darf sich unter keinen Umständen wiederholen.
Eure Beatrice!