Die EM ist alle vier Jahre ein Ereignis, das in allen Europäern die Sportbegeisterung und den Nationalstolz weckt. Menschen aller Altersklassen interessieren sich plötzlich für Fußball. Sogar die normalerweise eher vernünftigen Zeitgenossen schwenken kleine Fähnchen, ziehen sich alberne Hüte in den Nationalfarben an, schmücken ihre Fahrzeuge und füllen in ihrer Stammkneipe oder auf der Arbeit eifrig Tabellen mit Fußballwetten aus.
Als fast einzige Vertreterin Deutschlands in meiner Firma habe ich am Tippspiel teilgenommen und mich vergleichsweise vorbildlich mit einem fünften Platz von 20 in der Vorrunde geschlagen. Durch einen mehr oder weniger verrückten Zufall kam ich dann auch noch an Fußballtickets für ein Spiel der deutschen Mannschaft in Paris heran. Mehrere Menschen haben mich zu diesem glücklichen Zufall beglückwünscht. „Hey, das ist ja klasse“, haben sie gesagt. Und dann haben sie hinzugefügt: „Aber dann musst du ja nach Paris fahren!?“ Genau. Ich wusste aber schon, wen ich für diese kurze aber wahrscheinlich unvergessliche Amoktour nach Paris begeistern konnte: Meinen amerikanischen Freund Brian, der sich seit er hier in Deutschland lebt sehr für die kuriosen Eigenheiten und typisch deutschen Traditionen begeistert. Es bedurfte nur einer kurzen Nachricht per Handy und schon hatte ich meinen Reisepartner gefunden. Wenige Stunden später hatte Brian ein Fußballtrikot der Nationalmannschaft in seiner Größe und einen Hut in schwarz, rot und gold aufgetrieben sowie einen Urlaubsschein abgegeben. Der Zug war schnell gebucht und so saßen wir also an einem friedlichen Donnerstagabend im Metzer Bahnhof und tranken ein belgisches Bier zur Einstimmung.
Der TGV brachte uns rasend schnell innerhalb von 1,5 Stunden nach Paris, wo wir mit der Metro und der RER innerhalb von einer halben Stunde das Stadion erreicht hatten. Hier ging es dann etwas weniger schnell voran, denn es wimmelte nur so von Menschen die in entweder deutsche oder polnische Flaggen gehüllt waren und von denen einige schon reichlich dem Alkohol zugesprochen hatten. Am Stadion angekommen mussten wir feststellen, dass das hier angebotene Bier nur 0,5% Alkohol hatte und zudem sieben Euro pro Becher kostete. Wir entschieden uns spontan gegen das Bier bei der EM 2016.
Die Atmosphäre im Stadion war überwältigend. Mehr als 81.000 Verrückte hatten sich im Stade de France, dem größten Stadion Frankreichs, zusammengefunden. Sie waren mehr oder weniger nach polnischen und deutschen Fans getrennt. Die Polen waren jedoch eindeutig in der Überzahl und sie konnten meiner Meinung nach auch viel besser – oder zumindest deutlich lauter – singen, als die Deutschen.
Es gab zwei Nationalhymnen, die Vorstellung der Startspieler und dann den Anpfiff, wie man das aus dem Fernsehen kennt. Die Stimmung blieb fast unverändert gut, konnte aber leider nicht eskalieren, denn es fiel in den 90 + 4 Minuten kein einziges Tor. (Deshalb man ich American Football, Handball und vor allem Basketball einfach lieber als Fußball.)
Trotzdem war es ein Erlebnis, so ein Spiel einmal live in einem so großen Stadion zu erleben, die Herren Boateng, Müller und Özil auf dem Platz herumrennen zu sehen und den polnischen Fans beim Singen zuzuhören. Unsere Sitznachbarn bemalten unsere Gesichter mit Schminke in Deutschlandfarben und boten uns etwas von ihrem ins Stadion geschmuggelten Wodka mit Cola an. Mit der Schminke im Gesicht konnte ich in Sachen Patriotismus dann fast schon mit meinem Begleiter mithalten, der mir in dieser Angelegenheit einiges voraus hat. Mir sind Nationalitäten und eigentlich auch Fußball ja komplett egal. So eine EM soll in meinen Augen vorrangig Spaß machen!
Sogar der Abtransport der Massen mit den RER Zügen verlief relativ kontrolliert und vergleichsweise schnell. Noch vor Mitternacht hatte Brian zielsicher ein Restaurant gefunden, das noch um diese nachtschlafende Zeit Muscheln, Pommes und Bier servierte. Glücklich aber ein wenig enttäuscht über die Tatsache, dass wir kein Tor gesehen hatten, zogen wir uns noch vor ein Uhr nachts in unser recht gemütliches Hotelzimmer zwei Blocks vom Bahnhof entfernt zurück. Um sieben Uhr am Morgen waren wir dann wieder an der Gare de l’Est und nur etwa zwei Stunden später war ich mit einer nur unwesentlichen Verspätung wieder im Büro – fit für einen normalen Freitag auf der Arbeit.
Ich danke an dieser Stelle den edlen Spendern der Fußballtickets für die EM 2016, den polnischen Fans und meinem amerikanischen Freund Brian, der mich auf dieser Amoktour begleitet hat und auch noch Spaß dabei hatte. Wo findet noch mal in zwei Jahren die Weltmeisterschaft statt? 😉
Eure Beatrice!
(Die sich im Grunde überhaupt nicht für Fußball interessiert).